"Raumbewusstsein unter Tage."

Nachhaltige Verwaltung und Arbeitsorganisation im frühmodernen Oberharzer Bergbau
entsprechend der ältesten Risswerke (ca. 16./17. Jh.)

Habilitationsprojekt, seit 2022.


"Zeichnen ist, als intellektuelle Abstraktion schlechthin,
eine entscheidende Methode der wissenschaftlichen Entdeckung der Welt,
um mit solcher Fähigkeit die Wahrheit der Gegebenheiten zu klären.“
Walter Koschatzky, Die Kunst der Zeichnung, Salzburg/Wien 1977, S. 42.

Die Wortwahl der 1970er Jahre bezog sich gewiss nicht auf handgezeichnete Risswerke des frühmodernen Bergbaus, sondern auf die Kunst der Zeichnung im Allgemeinen. Nichtsdestoweniger sind mit der Definition, dass die intellektuelle Abstraktion mittels Zeichnung eine entscheidende Methode der wissenschaftlichen Entdeckung der Welt sei, durchaus Kernpunkte einer historischen Forschungsarbeit angesprochen, die nach dem Raumbewusstsein unter Tage bzw. nach Verwaltung und Arbeitsorganisation im frühmodernen Bergbau seit dem 16. Jahrhundert fragt.

Denn im Vergleich zur „Kartographie über Tage“, wie sie schon um 1500 beispielsweise in Form von Augenschein­­karten und Landesaufnahmen üblich war, bedurfte die wissenschaftliche Entdeckung der Welt unter Tage zweierlei: Einer Professionalisierung der Montanverwaltung, die die Wahrheit der Gegebenheiten im Bergwerk mit Regelmäßigkeit dokumentierte, und – infolgedessen – einer neuen Dokumentationsmethodik, mit der Stollen und Schächte überhaupt wahrheitsgemäß abgerissen werden konnten. Im Hinblick auf die Kartographiegeschichte wäre es dabei zwar falsch zu behaupten, dass Historiker und Kartographen sich nicht mit den verschiedensten Kartenquellen beschäftigt hätten, die die europäische Geschichte seit dem ausgehenden Mittelalter hervorgebracht hat – im Gegenteil. Jedoch stand die intellektuelle Abstraktion, die es zur Kartographie unter Tage bedurfte, bisher ebenso wenig zur Diskussion, wie die dahinterstehenden Intentionen einer auf Nachhaltigkeit bedachten Bergbauverwaltung. Infolgedessen sind die ältesten Bergbaukarten sowie die zugehörigen Amts­protokolle des norddeutschen Raums weithin unerforscht. Dieser Befund erschwert und rechtfertigt gleichermaßen das nachstehend skizzierte Qualifikationsvorhaben, dessen berg­männisches Oberthema zwischen Kartographie-, Wirtschafts- und Landesgeschichte eingespannt wird.

»Raumbewusstsein unter Tage« nahm schon 2013 seinen Anfang – zumindest bekam das Thema erste Impressionen, indem das durch Pro*Niedersachen geförderte Projekt „Der Blick auf die kleine Welt“ (2013-2015) frühe, handgezeichnete Landkarten im Raum Niedersachsen/Hessen vergleichend erforschte. Wenngleich der Fokus damals auf dem Zeitraum 1500 bis 1650 lag, so förderte die systematische Durchsicht der entsprechenden Archive doch auch Schrift- und Bildquellen der Bergbaugeschichte zutage. Indem das nachfolgende DFG-Projekt „Der Medienwechsel Augenzeugen und Augenschein“ (2016-2018) dann die Frühphase der regionalen Kartographie von 1500 bis 1575 fokussierte, fiel die erst im 17. Jahrhundert einsetzende Dokumentation bergmännischen Raumbewusstseins abermals durchs Analyseraster.

Den ausschlaggebenden Impuls erhielt das Thema nun durch einen im Bergarchiv Clausthal im sog. Rissarchiv der TUI AG (ehemals Preussag AG) überlieferten Bestand, der die gesamte Bandbreite frühmoderner Bergverwaltung bezeugt. Der Bestand NLA HA BaCl Dep. 150 K enthält nicht nur kartographische Zeugnisse (einfache Lagerisse, metrische Übersichtspläne, dreidimensionale Grubenbilder und später auch technische Spezialzeichnungen), sondern auch systematisch geführte Bergamtsprotokolle (in zunehmend normierter Schriftform), die den Zeitraum von ca. 1650 bis Mitte des 20. Jahrhunderts abdecken. Ein Zugriff auf diese besondere Überlieferung des norddeutschen Raums ist jüngst zwar in Form des DFG-Projekts „Die wissenschaftliche Tiefenerschließung der Oberharzer Bergamtsprotokolle” (2019-2022) erfolgt. Jedoch gedieh dieser Zugriff entsprechend der gesetzten Forschungsziele (Erschließung und Systematisierung) nicht zur themenspezifischen Auswertung. Die wissenschaftliche Bearbeitung der Risswerke und des zugehörigen Verwaltungsschriftguts steht aus und wird nun mit dem skizzierten Projekt avisiert.

Zwar durchlebte das historische Montanwesen schon im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert einen sichtbaren Wandel, der im Detail bisher eher ununtersucht blieb – u.a. mit Blick auf Heinrich den Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489-1568), der sich in Konkurrenz zur Grubenhagener Linie des Welfenhauses seit den 1520er Jahren überaus aktiv um die (Wieder-)Aufnahme des Bergbaus bei Zellerfeld bemühte.1 Jedoch werden die einschneidenden Weiterentwicklungen der Montanwirtschaft in Form einer allgemeinen Verdichtung und Professionalisierung der Bergverwaltung erst gen Ende des 16., besser erst im 17. Jahrhundert untersuchbar.2 Diese nachhaltige Verwaltung und Arbeitsorganisation im frühmodernen Oberharzer Bergbau will das Forschungsvorhaben entspr. der vorbeschriebenen Überlieferung zur Diskussion stellen. Denn zum einen dokumentieren die Bergamtsprotokolle die allgemeine Organisation montanwirtschaftlicher Maßnahmen (wöchentliche Sitzungen der Beamten, regelmäßige Befahrung der Gruben sowie Prüfung der Rochstoffbedarfe). Und zum anderen dienten die Risswerke der konkreten Steuerung bergbaulicher Arbeit (Auffahren bzw. Stilllegen von Stollen, Wasserhaltung sowie Eröffnung von Lagerstätten). Der Umstand, dass Beides, Amtsbücher und Risswerke, aus technischen und umwelthistorischen Gründen der Montanverwaltung lange Zeit – bis weit in das 20. Jahrhundert hinein – vorgehalten wurden, bezeugt nicht nur die Nachhaltigkeit der Verwaltungspraxis, sondern auch die Relevanz des Themas.3

Weiter ließe sich das skizzierte Thema, das die Oberharzer Montanwirtschaft zu Zellerfeld und Clausthal im 16. / 17. Jahrhundert in den Blick nimmt, noch durch einen kartographiehistorischen Exkurs ergänzen. Denn der Bestand NLA HA BaCl Dep. 150 K erlaubt, wie es oben schon anklang, einen bis in das 20. Jahrhundert reichenden Blick auf die Entwicklung der ältesten Bergbaukarten. Diesbezüglich mag die Beobachtung bemerkenswert sein, dass sich zwar schon seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Kombination aus Grund- und Seigerriss als charakteristische Darstellungsform des Altbergbaus durchgesetzt hatte. Gen Mitte des 18. Jahrhunderts enstanden jedoch auch dreidimensionale Abbildungen des unterirdischen Raums. Diese Klapprisse, sog. Schwedenkarten (ca. 1750-1820), wurden im Hinblick auf den Harzraum bisher kaum beachtet, zumindest nicht systematisch untersucht. Dies nachzuholen, scheint lohnenswert.

Während sich die räumliche Feingliederung der Studie an der historischen Entwicklung der welfischen Territorien und ihrer Administration orientiert (ca. 12. – 17. Jh.), wird die zeitliche Begrenzung am zugrundeliegenden Archivbestand festgemacht. Unter Einbeziehung des vorbezeichneten Exkurses heißt das: Einerseits markiert die 1820 endende Überlieferung der Schwedenkarten einen Wendepunkt der Kartographiegeschichte (endgültige Normierung risslicher Darstellungsform), andererseits beschließt das am 24. Juni 1865 erlassene „Allgemeine Berggesetz für die preußischen Staaten“ die Verwaltungsentwicklung des Themas (Ende wirtschaftslenkender Montanverwaltung / Beginn privatwirtschaftlichen Bergbaus). Da ein solcher, über 300 Jahre gestreckter Untersuchungszeitraum (circa Mitte 16. – Mitte 19. Jh.) nur der ersten Annährung an den Bestand NLA HA BaCl Dep. 150 K dienen kann – gerade auch weil das Rissarchiv noch nicht vollumfassend erschlossen, die Menge an Bergbaukarten und Amtsbüchern also noch nicht abschließend zu beziffern ist – sind weitere zeitliche und ggfs. auch thematische Eingrenzungen zur Durchführung des Forschungsvorhabens unabdingbar. Kritisch wäre mit Blick auf die Kartenquellen etwa anzumerken, dass eine Detaildiskussion der Schwedenkarten bis in die Zeit der Industrialisierung ausgreifen müsste; dies scheint mir, ungeachtet des spannenden Überlieferungszusammenhangs, nicht, wenn dann, wie gesagt, nur als Exkurs geboten. Demnach konzentriert sich das Forschungsvorhaben gegenwärtig zwar auf den Zeitraum des 16. / 17. Jahrhunderts, gerade die Zusammenschau von pragmatischem (Verwaltungs-)Schriftgut und Risswerken weist entsprechend jüngster Stichproben jedoch ein besonders großes Erkenntnispotential auf. Damit verdichtete sich die Themenarbeit auf die Zeit nach 1630.

[Projektskizze / Exposé zum Forschungsthema - 23.06.2023, Daniel Kaune]

1 Vgl. im NLA HA BaCl u.a. die Oberharzer Bergordnungen (seit 1520/21), versch. Grenzstreitigkeiten zwischen den Fürstentümern Braunschweig-Wolfenbüttel und -Grubenhagen (seit 1531) sowie Jurisdiktionsangelegenheiten zur Ordnung des Bergbaus und der Wasserwirtschaft im Harzraum (seit 1552).
2 Vgl. Ebd. insb. die Zellerfelder Bergamtsprotokolle (seit 1577), die Clausthaler Bergamtsbücher (seit 1639) und den Bestand der alten Markscheiderei (seit ca. 1650).
3 Vgl. zur Überlieferungsbildung Graf, S. / Laufer, J., Die Harzer Bergamtsprotokolle, in: NLA Magazin 2018, S. 17ff.; Berwinkel, R. / Tschubel, C., Die Übernahme und Erschließung des Rissarchivs der ehemaligen Preussag AG im Bergarchiv Clausthal, in:  NLA Magazin 2020, S. 16ff. Allgm. auch Marbach, W., Das Bergarchiv in Clausthal-Zellerfeld, in: Rasch, M. (Hg.), Korten, B. (Redak.), Harz, Essen 2008, S. 169ff.